Datenschutz Information Wir verwenden Cookies um externe Inhalte darzustellen, Ihre Anzeige zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf unsere Website zu analysieren. Dabei werden ggf. Informationen zu Ihrer Verwendung unserer Website an unsere Partner für externe Inhalte, soziale Medien, Werbung und Analysen weitergegeben. Unsere Partner führen diese Informationen möglicherweise mit weiteren Daten zusammen, die Sie bereitgestellt haben oder die sie im Rahmen Ihrer Nutzung der Dienste gesammelt haben. |
Rechtsbereich: Strafrecht
Kategorien: Nutztiere, Tierquälerei
Behörde/Gericht: Oberster Gerichtshof
Geschäftszahl: 15Os27/96(15Os28/96)
Entscheidungsdatum: 28.03.1996
Mit Urteil des Landesgerichts (LG) Innsbruck wurden der türkische Staatsangehörige B und der österreichische Staatsangehörige W (als Beteiligter) wegen des Vergehens der Tierquälerei für schuldig erkannt.
Beim Angeklagten W, Betreiber einer Landwirtschaft und Schafzucht, hatten einige Tage vor dem türkischen Opferfest mehrere Türken dreißig Schafe bestellt, die auf seinem Anwesen selbst geschlachtet werden sollten. W hatte vernommen, dass die Schafe geschächtet werden sollen. Er wusste zwar grundsätzlich, dass das Schächten in Österreich verboten sei, verließ sich jedoch auf die Aussage eines Türken, dass dies aufgrund eines Abkommens zwischen Österreich und der Türkei nicht für das Opferfest gelte. W holte keine weiteren Erkundigungen über die Richtigkeit dieser Behauptung ein und überließ den Türken die Schafe. Beim türkischen Opferfest wurden tatsächlich elf Schafe geschächtet, davon drei vom Angeklagten B und der Rest von nicht bekannten Tätern. Allen elf Tieren wurde langsam von unten beginnend der Hals aufgeschnitten, sodass diese ausbluteten. Danach wurden ihnen die Köpfe abgetrennt. Keines der Tiere wurde zuvor betäubt.
Das LG stellte dazu fest, dass das Ausblutenlassen der Schlachttiere beim Opferfest ein nach dem Koran einzuhaltender religiöser Ritus sei. Die Tiere erleiden durch die Schächtung eine langsame Blutentziehung, die schließlich zum Tod führe. Da die Schafe beim Schächten ohne Betäubung erhebliche Angstzustände und größte Schmerzen erlitten, seien den Tieren dadurch unnötig Qualen zugefügt worden und seien diese somit roh misshandelt worden. Dadurch wurde der Tatbestand des § 222 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt.
Der von den beiden Angeklagten eingebrachten Berufung gab das Oberlandesgericht (OLG) keine Folge. Begründend führte das OLG aus, dass die Tathandlung zwar in Ausübung eines religiösen Ritus begangen worden sei, jedoch verbiete der Koran nicht, die Tiere zu betäuben. Der Koran sei so auszulegen, dass Qualen für das Tier bei der Schächtung zu verhindern seien. Weiters bedeute die Religionsfreiheit nicht, dass religiöse Vorschriften staatlichen Vorschriften, wie hier dem Tiroler Tierschutzgesetz, vorgehen. Nach dem Tiroler Tierschutzgesetz sei nämlich das Schlachten und Entbluten von Tieren ohne vorangegangener Betäubung verboten. Ein Sachverständigengutachten bestätigte, dass den Tieren durch die Schächtung ohne Betäubung unnötige Qualen zugefügt und sie dadurch roh misshandelt wurden.
Die Generalprokuratur erhob gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes an den Obersten Gerichtshof (OGH), mit der Begründung, dass das Urteil nicht mit dem Gesetz im Einklang stehe.
Der OGH stellte dazu fest, dass in Österreich die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Religionsfreiheit) verfassungsrechtlich verankert ist. Der Islam sei in Österreich als Religionsgemeinschaft, die unter die Religionsfreiheit falle, anerkannt. Unter Hinweis auf die schon zu Zeiten der Monarchie vorherrschende Rechtsprechung zur rituellen Schächtung im Judentum führte der OGH aus, dass die Schächtung sowohl für Angehörige der israelischen als auch der islamischen Glaubensgemeinschaft einen Akt der Religionsausübung darstelle, der nicht als unsittlich zu werten sei. An dieser Ansicht würden auch jene Tierschutzgesetze der Länder nichts ändern, in denen eine generelle Betäubung der Tiere vor der Schlachtung verpflichtend vorgesehen sei. Die Sozialadäquanz einer anerkannten Religionsausübung könne daher nicht durch solche Bestimmungen (partiell) beseitigt werden.
Die rituelle Schächtung sei eine der zentralen Vorschriften der islamischen Religion. Eine Betäubung des Schlachttieres sei im Koran weder vorgesehen, noch ausdrücklich verboten. Eine Betäubung stand bis in die jüngere Vergangenheit nie zur Diskussion und werde in der rituellen Schlachtung nicht gehandhabt. Erst in den letzten Jahren würden sich islamische Tierärzte und Gelehrte mit der Möglichkeit einer – das Tier nicht tötenden – Betäubung durch Elektroschock befassen. Die Frage über die Erlaubtheit oder das Verbot der Betäubung eines Tieres sei also auch unter Experten nicht geklärt. Man könne daher einem einfachen Angehörigen der islamischen Religionsgemeinschaft nicht vorwerfen, dass dieser die gängige religiöse Praxis der betäubungslosen Schächtung unterlasse. Ob ein derartiger Wandel innerhalb der Religionsgemeinschaft stattfinde, könne aufgrund des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes religiöser Bräuche auch nicht von außen erzwungen werden. Einen solchen Wandel könne alleine die Religionsgemeinschaft selbst herbeiführen.
Nach Ansicht des OGH setze das Tatbestandsmerkmal der „rohen Misshandlung“ eine Tätlichkeit gegen das Tier voraus, die auf Grund der Intensität und des Ausmaßes der Handlung sowie der dem Tier zugefügten Schmerzen in Verbindung mit dem Fehlen eines vernünftigen und berechtigten Zwecks eine gefühllose Gesinnung des Täters erschließen lasse. „Unnötige Qualen“ setzen eine gewisse Dauer des für das Tier unangenehmen Zustandes voraus, welche die Grenzen des Vertretbaren überschreiten und zugleich als Mittel angewendet werden, die einem sozial adäquaten Verhalten entgegenstehen. Da die Angeklagten im Rahmen eines nach ihrer Religion vernünftigen und berechtigten Zwecks sowie eines sozial adäquaten Verhaltens getötet haben, wurden die Schafe weder „roh“ misshandelt, noch wurden ihnen „unnötige“ Qualen zugefügt. Folglich fehle es auch an der für einen Schuldspruch erforderlichen Rechtswidrigkeit. Der Angeklagte B sei daher nicht nach § 222 StGB strafbar. Dies gelte auch für die dem Angeklagten W vorgeworfene Beitragstäterschaft.
Der Schuldspruch gegen den Angeklagten B wurde vom OGH aufgehoben. Da der Angeklagte W mittlerweile verstorben war, wurde das Strafverfahren gegen diesen eingestellt.
Die vollständige Entscheidung finden Sie hier.
Anmerkung: Mit Inkrafttreten des Tierschutzgesetzes (TSchG) im Jahr 2005 wurden österreichweit einheitliche Vorgaben für die Durchführungen ritueller Schlachtungen erlassen (siehe § 32 TSchG).