Nachlese: 4. Tier&Recht-Tag
18.12.2019 | Unter dem durchaus provokanten Titel „Regional-Saisonal-Illegal?“ haben wir uns beim diesjährigen Tier&Recht-Tag im Dachsaal der Wiener Urania mit zahlreichen rechtlichen Aspekten rund um die Nutztierhaltung auseinandergesetzt. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Frage, inwieweit die Vorgaben des Tierschutzgesetzes bei der Festlegung der Mindestanforderungen an die Nutztierhaltung gesetzeskonform umgesetzt wurden.
Eine Einführung in das Thema erfolgte im Rahmen des Vortrags von Rudolf Winkelmayer, ehemaliger Amtstierarzt und freiberuflicher Tierarzt, der den weit über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Österreich, Deutschland und der Schweiz die Bedürfnisse und Interessen von Tieren sowie Parameter für deren Wohlbefinden und Anpassungsfähigkeit näher brachte. Dass der Umgang mit Tieren vor allem durch unser Moral- und Ethikempfinden geprägt wird und welche Schlüsse daraus gezogen werden sollten, brachte Rudolf Winkelmayer mit einem Zitat von Albert Einstein auf den Punkt: „Die, die das Privileg haben zu wissen, haben die Pflicht zu handeln“.
Aufbauend auf dem Wissen um die physiologischen und ethologischen Grundbedürfnisse von Tieren widmete sich der Vortrag von Niklas Hintermayr von der Tierschutzombudsstelle Wien den rechtlichen Vorgaben der Nutztierhaltung im Tierschutzgesetz und der 1. Tierhaltungsverordnung. Im Fokus standen dabei die Anforderungen des Tierschutzgesetzes sowie die Ermächtigung an die/den Bundesminister/in, Mindestanforderungen an die Haltung von Nutztieren im Wege einer Verordnung festzulegen. Niklas Hintermayr konnte dabei klar aufzeigen, dass die 1. Tierhaltungsverordnung nicht den Vorgaben des Tierschutzgesetzes entspricht, den Spielraum der Verordnungsermächtigung weit überschreitet und damit gesetzeswidrig ist. Dies folgt vor allem aus dem Umstand, dass die Bestimmungen der 1. Tierhaltungsverordnung die physiologischen und ethologischen Grundbedürfnisse der Tiere gar nicht bzw. nur rudimentär berücksichtigen, ganz im Gegensatz zum eindeutig formulierten Auftrag im Tierschutzgesetz. In weiterer Folge wurden die derzeitigen Möglichkeiten der Anfechtung gesetzeswidriger Verordnungen erläutert und dargelegt, welche Rolle dabei Verwaltungsgerichte, Privatpersonen, NGOs und Tierschutzombudspersonen spielen könnten.
Ein ganz wichtiger Player im Zusammenhang mit der Anfechtung von Verordnungen vor dem Verfassungsgerichtshof ist in Österreich die Volksanwaltschaft. Diese kann nämlich unabhängig von einem konkreten Anlassfall Verordnungen vom Verfassungsgerichtshof auf ihre Gesetzmäßigkeit hin prüfen lassen. Über die Erfahrungen mit diesem demokratiepolitisch wichtigem Instrument, aber auch mit möglichen Risiken einer Verordnungsanfechtung berichtete der ehemalige Volksanwalt mit Zuständigkeit Tierschutz, Günther Kräuter. Dieser hatte sich während seiner Amtszeit etwa für ein Ende der dauernden Anbindehaltung von Rindern in Österreich eingesetzt, musste jedoch miterleben, wie der Gesetzgeber darauf hin den gesetzes- und tierschutzwidrigen Zustand durch eine Novelle des Tierschutzgesetzes „legalisierte“ anstatt die Mindestanfordernisse an die Haltung von Rindern an die gesetzlichen Vorgaben anzupassen.
Diana Plange, Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin, bot den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Überblick über die großen Hürden und Herausforderungen im Zusammenhang mit Tierschutz und der Nutzung von Tieren im Stall, im Zirkus, auf der Straße und auf der Rennbahn. Weiters zeigte sie die Situation und Handlungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Qualzucht bei Heim- und Nutztieren in Österreich und Deutschland auf. Zum Abschluss ihres Vortrags stellte Diana Plange das Projekt VETOO vor, ein Verein zur Unterstützung für Tierärztinnen und Tierärzte in den Veterinärämtern, die in ihrer Tätigkeit besonderen Belastungen ausgesetzt sind und von ihren Vorgesetzten sowie Kolleginnen und Kollegen nicht die notwendige Hilfestellung bekommen bzw. von diesen unter Druck gesetzt werden, ihren Pflichten nicht im vorgesehenen und erforderlichen Maß nachzukommen.
Erika Wagner von der Universität Linz brachten einen neuen, spannenden Aspekt in die Diskussion ein, nämlich wie die Einhaltung von Tierwohl mit zivilrechtlichen Mitteln sichergestellt werden kann. Dies betrifft vor allem den Umgang mit den immer mehr werdenden Labels und Gütesiegeln zur Gewährleistung von Tierwohl. Unterstützt wurde sie dabei von Indra Kley von der Tierschutzombudsstelle Wien, die dem Auditorium einen Überblick über die Systematik von Gütezeichen und Markenprogrammen im Tierwohlbereich verschaffte. Erika Wagner zeigte in weiterer Folge auf, dass vor allem im Zusammenhang mit unlauteren Geschäftspraktiken bei der Verwendung von Gütezeichen und Labels Möglichkeiten für Konsumentinnen und Konsumenten sowie Mitbewerberinnen und Mitbewerbern bestehen, sich mit Klagen zur Wehr zu setzen.
Den Abschluss machte ein Vortrag des Vorstandssprechers von NEULAND e.V., Jochen Dettmer, zur Frage, ob eine tiergerechte Landwirtschaft in Zeiten der Agrarindustrie überhaupt möglich oder reine Utopie ist. Er stellte dabei das Qualitätsfleischprogramm NEULAND aus Deutschland vor, das sich seit über 30 Jahren einer besonders tiergerechten Haltung von Nutztieren verschreibt. Weiters gab Jochen Dettmer einen Überblick über die aktuellen Herausforderungen in Landwirtschaft und Agrarpolitik sowie die Nutztierhaltungsstrategie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Durch den Tag führte in gewohnt professioneller Weise die Vizepräsidentin des Deutschen Naturschutzrings, Undine Kurth. Ihr gilt besonderer Dank dafür, dass sie die Tagung Jahr für Jahr mit ungebrochenen Engagement, Weiterblick und höchster Kompetenz unterstützt.
Bleibt zum Abschluss nur die Frage:
Ist das Österreichische Schnitzel nun tatsächlich illegal?
Die Tagung hat deutlich auf den Punkt gebracht, was viele im Tierschutz schon lange vermuten. Der überwiegende Teil der derzeit üblichen (Massen-)Tierhaltung entspricht nicht den Vorgaben des Tierschutzgesetzes und stellt daher einen gesetzeswidrigen Zustand dar. Legalisiert wird dieses System durch eine Verordnung des/der Bundesministerin für Gesundheit und Tierschutz, die das Tierschutzgesetz in vielen Punkten aushöhlt und unanwendbar macht.
Bleibt zu hoffen, dass sich ein Weg findet, diese Verordnung vom Verfassungsgerichtshof auf ihre Gesetzmäßigkeit hin prüfen zu lassen bzw. andere, vor allem zivilrechtliche Möglichkeiten, verstärkt zu nutzen, um Tierwohl sicherzustellen und die Täuschung der Konsumentinnen und Konsumenten zu beenden. Klar ist aber auch, eine Umstellung hin zu einer modernen, tiergerechten Landwirtschaft kann nur unter Einbeziehung aller Akteur*innen und hier vor allem der Landwirtschaft erfolgen. Daran werden wir auch weiterhin hart arbeiten und laden alle Interessierten ein, unsere Kräfte zu bündeln, um gemeinsam ein lebenswertes Leben für alle Tiere zu erreichen.
Das vollständige Programm vom 4. Tier&Recht-Tag finden Sie hier.